Über das Projekt

Grundlagen: Was ist eine Edition?

Um was geht es?

Editionen veröffentlichen Texte, etwa eines Dichters oder einer Dichterin. Manche Texte werden so zum ersten Mal überhaupt veröffentlicht. Die «Werke und Briefe von Jeremias Gotthelf» (kurz: dHKG für «digitale Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke und Briefe von Jeremias Gotthelf») gibt das Gesamtwerk des Schriftstellers Jeremias Gotthelf für heutige Leser und Leserinnen (= «Publikum») heraus. Die Edition besteht aus einem Text und einem Kommentar mit Erläuterungen.

Leben und Werk von Jeremias Gotthelf

Der Schriftsteller Jeremias Gotthelf ist 1854 gestorben. Vor seinem Tod sind rund 50 Romane und Erzählungen als Bücher erschienen. Die Bücher sind in einer Druckschrift verfasst, die heute nicht mehr verwendet wird, der sogenannten Frakturschrift. Viele dieser Texte können heute in keiner Buchhandlung mehr gekauft werden. Gotthelf hat noch viel mehr geschrieben, zum Beispiel Zeitungsartikel oder Texte zu Fragen, die ihn beschäftigten, etwa: Ist es korrekt, dass die Pfarrer in der Stadt Bern Vorteile gegenüber ihren Kollegen auf der Berner Landschaft haben? Jeremias Gotthelf ist der Künstlername (= «Pseudonym») von Albert Bitzius, der Pfarrer in Lützelflüh, einem Ort im Emmental, war. Als Pfarrer schrieb er die Predigten, die er in der Kirche hielt, während Jahrzehnten mit Tinte auf Papier für sich auf (= «Handschrift», «Manuskript»). Im Archiv und in der Bibliothek, wo die meisten dieser Handschriften aufbewahrt werden, gibt es weit über 2500 Briefe (= «Korrespondenzen»), die Bitzius bekommen oder verschickt hat. Viele Handschriften sind noch gar nie in einem Buch veröffentlicht worden. Wenn jemand diese Texte lesen will, muss er/sie ins Archiv gehen und die alte Schreibschrift lesen können, die heute viele Menschen nicht mehr entziffern können. Heute muss man aber nicht unbedingt ins Archiv gehen. Die Handschriften sind von Fachleuten gelesen worden und werden jetzt hier in lesbarer Form gezeigt (= «ediert»). Da die Texte auf dem Computer gelesen werden können, heisst das, sie werden digital ediert. Jetzt kann man die Texte auf den Handschriften sogar mit einem Foto vergleichen. Dieses Foto nennt man ein «Digitalisat» der Handschrift.

Textphilologische Arbeitsweise: Wie wir arbeiten

Aus den Handschriften erkennt man, wie Gotthelf an seinem Text gearbeitet hat. Wo ist etwas durchgestrichen (= «Tilgung»)? Hat er ein zusätzliches Wort notiert (= «Ergänzung»)? Oder einen Satz ersetzt (= «Korrektur»)? Als er mit einem Text fertig war, sandte er die Handschrift an einen Verlag, zum Beispiel an seinen Hauptverleger Julius Springer in Berlin. Dieser kümmerte sich darum, dass das Buch gedruckt wurde und in die Buchhandlungen kam. Im Verlag von Julius Springer erschien im Jahr 1848 zum Beispiel der Roman Leiden und Freuden eines Schulmeisters, der erstmals 1838/39 im solothurnischen Verlag Jent & Gassmann (= «Erstauflage») erschienen war. Da das Buch vor allem in Deutschland verkauft werden sollte, wurde der Text für die deutschen Leser und Leserinnen (= «Publikum») angepasst: Dialekt wurde durch Hochdeutsch ersetzt oder erklärt. Stellen, in denen es vor allem um das Schulwesen im Kanton Bern ging, wurden gekürzt. Es gibt von diesem Text also mehrere Fassungen, eine Erst- und eine Zweitauflage. Ausserdem gibt es eine Handschrift, die sich ebenfalls von den beiden gedruckten Büchern unterscheidet. Diese Unterschiede nennt man «Abweichungen».

Was ist eine historisch-kritische Edition?

Eine Edition heisst «historisch», wenn sie zum Beispiel alle Fassungen eines Werkes ediert. Auch kleine Notizen und Entwürfe für einen Text gehören dazu. Eine Edition heisst «kritisch», wenn sie den Text nach genau festgelegten Regeln wiedergibt. Diese Regeln werden im «Editionsbericht» festgehalten. «Historisch-kritische» Editionen geben Wörter so wieder, wie sie auf dem Papier stehen, auch wenn man sie heute anders schreibt, zum Beispiel ‘nothwendig’, ‘nüzlich’, ‘Neüerungen’. In der Edition soll man Gotthelfs Texte genau so lesen können, wie er sie geschrieben hat. Ja, sogar mit Fehlern. In älteren Editionen, so auch in den «Sämtlichen Werken» zu Gotthelfs Schriften (1911–1977), wurde häufig Gotthelfs Text korrigiert. Manchmal wurden sogar verschiedene Fassungen miteinander vermischt. Dadurch kann der Text aber nicht mehr gelesen werden, so wie Gotthelf ihn geschrieben hat. In der dHKG ist dies dagegen möglich.

Was die Forschungsstelle dir bietet

In der dHKG kannst du eine bestimmte Textfassung lesen. Besonders bequem ist die «Lesefassung». Du kannst aber auch nachschauen, wie sich verschiedene Fassungen unterscheiden oder was Gotthelf korrigiert, getilgt oder ergänzt hat. All dies sieht man in der «Textgenese», also der Ansicht, die die Entstehung eines Textes dokumentiert. Manche Wörter in Gotthelfs Text sind heute schwer zu verstehen, weil sie in altem Dialekt sind oder Dinge bezeichnen, die es heute nicht mehr gibt, zum Beispiel alte landwirtschaftliche Geräte. Andere Wörter bedeuten heute nicht das Gleiche wie um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Oft hat Gotthelf auch politische Ereignisse in seinen Texten erwähnt oder auf Zeitungsdebatten angespielt, die heute nicht mehr bekannt sind. Damit dies verständlich wird, gibt es in der dHKG Erklärungen (= «Kommentare», «Erläuterungen»): «Stellenkommentare» erklären Textstellen und Wörter. Längere Kommentare erklären, um welche politischen, gesellschaftlichen oder theologischen Themen es in einem Roman geht.

Noch vieles mehr ist in der digitalen Edition zu entdecken. Suche doch einmal den Zeitstrahl! (Was sagt er aus?) Viel Spass beim Erkunden der Edition!